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Fortsetzung 4:
Franz Rudolf Kaußmann und Emilie Kaußmann geb. Michel

  Aber die im Eisenbahnzeitalter erforderliche Umstellung von der Waren- zur Mustermesse konnte die Stadt schon wegen der Nähe von Berlin nicht mehr vollziehen. So behielt die Stadt in ihrem inneren Bereich das Aussehen, das sie seit dem Aufbau nach dem dreissigjährigen Krieg im Laufe von zweihundert Jahren gewonnen hatte. Die Mietwohnungshäuser der Gründerzeit entstanden dann längs der Ausfallstrassen nach Cottbus, Guben und Fürstenwalde. Nördlich der Unterstadt siedelten sich einige Fabriken an. Die Schiffahrt auf dem Oderstrom war rege, aber der Hafenumschlag war ganz unbedeutend geworden. Die durch Jahrhunderte so rege Handelsmetropole des mittleren Osten Deutschlands hatte sich in eine recht beschauliche preussische Beamten- und Garnisonstadt verwandelt.

   Das junge Ehepaar Rudolf und Emilie Kaußmann wohnte von Anfang an in der Gubener Vorstadt, im Bereich der Kirchgemeinde St. Gertraud, in der Rudolf auch geboren war. Mein Vater Fritz Kaußmann  hat 1945 unter dem Eindruck der Zerstörung seiner Heimatstadt einige Erinnerungen an seine Kinderjahre aufgezeichnet, aus denen hervorgeht, daß seine Eltern in ihren ersten Frankfurter Jahren bis 1875 nicht weniger als drei mal umgezogen sind. Anfangs wohnten sie Fischerstrasse Nr. 1 (Hier wurde mein Vater 1868 geboren). Um 1870 zogen sie nach Fischerstrasse 95, dann 1872/7 nach der Leipziger Str. 121, Ostern 1875 kehrten sie in die unmittelbare Nähe der Fischerstrasse – zum Anger Nr. 14 zurück. Damit bricht die Aufzeichnung meines Vaters ab. Ich vermute, daß die nächste – und letzte – Station nach einigen Jahren das eigene Haus Gubener Strasse 22 a war, wobei ich eher annehmen möchte, daß es von Rudolf Kaußmann käuflich erworben, als aus eigenen Mitteln gebaut wurde.

   Die Verbundenheit mit den Bewohnern der Gubener Vorstadt erhellt auch aus der Wahl von Rudolf Kaußmann zum Kirchgemeindevertreter von St. Gertraud im Jahr 1874. Speziell in der Fischerstrasse, die damals noch tatsächlich eine Strasse der Oderfischer war, ist Rudolf K. nicht nur heimisch, sondern als hilfsbereiter Mitbürger geachtet, ja verehrt worden. Noch meinem Vater wurde von alten Fischern, die sich meines Grossvaters erinnerten, ab und an ein besonders grosser Hecht oder ein dicker Aal ins Haus gebracht.

   Am 7. Juli 1892 ist Rudolf Kaußmann, erst 55 Jahre alt, gestorben. Sein Tod muss seine Familie ganz unerwartet getroffen haben. In einem erhalten gebliebenen Brieffragment meines Vaters Fritz Kaußmann, datiert vom 10.3.1892 aus Hamburg an seine Eltern ist nicht die Spur von Sorge um seinen Vater zu erkennen – im Gegenteil enthält er die dringende Aufforderung zur Hochzeit eines Bekannten nach Hamburg zu kommen. – Ein Gruppenfoto von Rudolf´s sechs Kindern, vermutlich zum 50. Geburtstag ihrer Mutter Emilie K. aufgenommen, datiert vom 5. Juni 1892.

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