Ernst_Ulrich_File0073.jpg
Wonniges Hundeelend       

  Da hockt mein Hund Tag um Tag bei einem Hundewetter mitten auf der Straße im Schnee, nass, struppig, zitternd vor Kälte, die Augen unentwegt auf das kleine Haus gegenüber gerichtet, in dem seine Hundefreundin eingesperrt ist. Als er versucht hatte, durch den Garten zu ihr vorzudringen, ist er vom Herrn seiner Freundin mit dem Stock davon gejagt worden. Und nun hockt er im Schnee und wartet, wartet. Sogar vom Futternapf treibt ihn unablässig die Angst fort, er könnte den Augenblick versäumen, da sie, die Ersehnte einmal herausgelassen würde. Ich ärgere mich über das närrische Tier und lasse es das mit lauten Worten und drohenden Gesten spüren.

   Da riskiert mein Hund doch einen Blick fort von dem verschlossenen Paradies und hin zu seinem Herrn, der ihn so heftig beschimpft. Siehe – er will etwas erwidern. Nun, ich will kein Märchen erzählen von „sprechenden Tieren“. Wie reden Hunde mit uns Menschen? Sie scheinen uns mit so einem eigenartig offenen, mit einem „sprechenden“ Blick an und dabei kommen uns Gedanken, die wir soeben noch nicht gedacht hatten.

   Also tat der frierende, sehnsuchtsgepeinigte Hund und sprach zu mir: Was willst du von mir? Kannst du dich erinnern? Kannst du ehrlich gegen dich sein? Hast du nicht auch einmal gegenüber einem großen Hause gestanden, und nicht nur einmal, nein immer wieder, bei Wind und Wetter und hast nichts sehen können als eine Reihe von Fenstern, übereinander, nebeneinander, alle geschlossen, alle verhängt, nein, nichts war zu sehen, nur zu wissen war, dass da drinnen ein Herz schlug, zu dem dich das deine trieb, ganz sinnlos, ganz hoffnungslos hintrieb. Ein Elend war’s, ja ein echtes Hundeelend, mein Lieber. Und ärgerlich warst du auch, sehr albern kamst du dir vor – so zwischendurch.

  Dass eine Leidenschaft den Menschen so weit treiben kann – nun das hätten sich früher die Dichter eingestehen dürfen. Das ging aber damals nicht mehr, die Menschen wollten stärker, beherrschter, nüchterner – wenn nicht sein, so doch scheinen. Und dennoch hast du es getan, gelebt und gelitten, das Warten vor dem verschlossenen Haus. Und wenn dein Verstand, der dich albern schimpfte, deine Füße heimwärts zwang, dann zog noch immer deine Liebesleidenschaft die Augen zurück nach den stummen Fenstern. So war das vor fünfundzwanzig Jahren in der großen Stadt. Vielleicht kannst du heute darüber lachen, vielleicht. – Aber wirst du, bitte, so gut sein, mich Kreatur so leiden zu lassen, wie es mich treibt. Schließlich bin ich ja kein
Mensch, der anders scheinen kann als er ist. Ich bin ein Hund und toll vor Liebesgier.                                                                                  Kirchberg a.d. Jagst 1952