Fortsetzung 8:
Franz Rudolf Kaußmann und Emilie Kaußmann geb Michel
Meine Grossmutter Emilie Kaußmann habe ich so in Erinnerung behalten, wie sie um 1910 herum in mein Bewusstsein trat. Ihre Erscheinung hat sich für mich bis zu ihrem Tode im Sommer 1927 nicht gewandelt. Sie wohnte bis zuletzt in ihrem Hause in der Gubener Strasse. Das Erdgeschoss war an ein stilles Ehepaar vermietet. Im oberen Stockwerk lagen Grossmutters drei Stuben, eine vorzugsweise als Küche benutzte nach dem Hof zu, die beiden Wohnstuben zur Strasse hinaus. Die eine war die wenig benutzte „gute Stube“ mit einer Plüschsesselgarnitur (uns Enkelkinder hatte es dort mehr eine Katzenfamilie aus Stoff angetan), die andere enthielt das Bett, einen sehr stattlichen Biedermeiersekretär, einen Biedermeier-Wäscheschrank (der nach meiner Heirat an mich gelangte und 1943 bei einem Bombenangriff auf Leipzig verbrannte), Tisch, Stühle unter einer Gasleuchte. Am Fenster stand auf einem Podest ein bequemer Sessel vor einem Nähtisch und am Fensterkreuz war der „Spion“ angebracht, mit dessen Hilfe das Leben auf der Strasse beobachtet werden konnte. Zwischen den beiden Fenstern stand eine kleine Kommode und darüber hing ein goldgerahmter Wandspiegel. Alle Stuben wurden mit Kachelöfen beheizt. –
Auf dem geräumigen Dachboden war noch eine Wohnstube mit dem Fenster zum Hof eingebaut. Hier hatte mein Vater als Junggeselle gehaust. Sein einfacher Schreibtisch mit Regalaufsatz hat später mir in meinen Wohnungen in Dresden und Leipzig gedient, wo er auch in der Bombennacht unterging. Diese Dachstube ist später eine oft genutzte Zuflucht für vorübergehend obdachlose Glieder der Kaußmannschen Sippen gewesen. –
Der kleine Hof mit dem Hauseingang wurde durch einen Schuppen abgeschlossen, der zwischen die Mauern der hohen Nachbarhäuser gespannt war. Durch ihn führte in der Mitte ein Gang zu dem Garten, der sich in drei Terrassen den Abhang hinaufzog. Unten stand rechts an den Schuppen angelehnt eine Laube, links ein Birnbaum („Williams Christ“), der Boden war von Maiglöckchen und Helianthi überwuchert. Oben links stand ein stattlicher Nussbaum. Die Terrassen trugen Beerensträucher und Erdbeeren – diese mussten allerdings in den Kriegs- und Notjahren seit 1914 meist Kohl und Kartoffeln weichen. –
Hier führte nun meine Grossmutter Emilie Kaußmann geb. Michel ein beschauliches Witwenleben, regsam und in bemerkenswertem Gleichmut, voll wohltemperierter Herzlichkeit gegen Kinder und Kindeskinder, bejahrt, abgeklärt aber keineswegs senil. Sie hatte eine auskömmliche Pension, die ihr fast in jedem Jahre eine Badereise, vorzugsweise in die schlesischen Bäder Altheide und Salzbrunn erlaubte. Mit allen Sorgen vertraute sie sich ihrem Sohne Fritz, meinem Vater, an. Diese tiefe Verbundenheit zwischen Mutter und Sohn, die dann auch auf die Schwiegertochter, meine Mutter, ausstrahlte, hat mich allezeit mit Hochachtung erfüllt.
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